Der Zeitzeugenbericht von Hermann Schmid setzt in den frühen 90er-Jahren an, einer Zeit des weltpolitischen Umbruchs mit Auswirkungen bis hinein in die Siegener Kommunalpolitik.
1989 fiel die Mauer, was zu einem Zustrom von Menschen aus den neuen Bundeländern führte. Gorbatschows Perestroika löste eine Welle von Aussiedlungsanträgen der Russland-Deutschen aus. Nicht nur in Siegen entstand erheblicher Druck auf den Wohnungsmarkt. Wohin mit den Menschen?
Das Ende des kalten Krieges hatte gleichzeitig den Abzug der Belgischen Streitkräfte zur Folge, die seit 1947 in Siegen stationiert gewesen waren und weite Bereiche des Fischbacherbergs, des Wellersbergs, des Heidenbergs und der Hermelsbach sowohl mit militärischen als auch mit zivilen Einrichtungen und Gebäuden bebaut hatten.
Diese freigezogenen Konversionsflächen boten Siegen stadtentwicklungspolitisch eine einmalige Chance, die angespannte Wohnungsmarktsituation zu entlasten.
Wohl bewusst war den Entscheidungsträgern dabei, dass die „Neubesiedelung“ ganzer Stadtquartiere, zumal solcher mit einer hohen Dichte an Mietwohnungsbestand, einer sorgfältigen Planung und einer kontinuierlichen Begleitung und Steuerung bedarf.
Hermann Schmid, seit 1997 Stadtteilmanager auf dem Fischbacherberg, kann aus erster Hand über die Entwicklung des Quartiers berichten und erinnert sich an Meilensteine des Prozesses, den er seit 23 Jahren maßgeblich mit gestaltet.
Zeitzeuge: Hermann Schmid, früherer Stadtteilmanager auf dem Fischbacherberg †
Bilder mit freundlicher Genehmigung vom Stadtteilbüro Fischbacherberg in Siegen.
Das Stadtarchiv Siegen berichtet über das Quartier Fischbacherberg:
Auch wenn die nach dem urkundlich bereits 1334 erwähnten Kirchdorf Oberfischbach führende Hauptverkehrsstraße am Fischbacherberg das Gegenteil vermuten lässt: Die markante Erhebung kann sicher keine herausragende (wirtschafts)geschichtliche Bedeutung für sich in Anspruch nehmen. Bezeichnenderweise konzentriert sich der mehrteilige Fortsetzungsartikel von Werner Wallwey über die Geschichte des Fischbacherberges in dem Bürgermagazin „Fischbacherberg aktuell“ (ab Jg. 1996) auf städtebauliche beziehungsweise siedlungsspezifische Komponenten in der Zeit erst nach 1950.
Historische Bildaufnahmen machen deutlich, dass der mehr als 370 Meter hohe Berg mit seinem reichen Baumbestand abgesehen von einer vorhandenen Bausubstanz in Tallage oberhalb von Sieg und Alche bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts unbebaut gewesen ist. In der durch Bergbau und Montanindustrie geprägten Wirtschaftsstruktur Siegens spielte der Fischbacherberg nur eine untergeordnete Rolle.
Die 1887 im Auftrag des Königlichen Oberbergamts zu Bonn von den Siegener Bergräten Theodor Hundt und Georg Gerlach mitherausgegebene „Beschreibung der Bergreviere Siegen I, Siegen II., Burbach und Müsen“ verweist auf (Zitat) „Schneider´s Steinbruch am Reckhammer im Alchethal am nördlichen Gehänge des Fischbacherberges“ sowie auf drei kleinere Gruben, die bescheidene Bergbauaktivitäten implizieren.
Ende des 19. Jahrhunderts existierte in der heutigen „Weidenbach“ zwischen Achenbach und Fischbacherberg darüber hinaus der sogenannte „Oranienhof“, bei dem es sich erst um ein beliebtes Ausflugslokal inmitten der Natur handelte, das später als Geflügelhof gewerblichen Zwecken diente. Prägend war sicherlich über Jahrzehnte die Abraumhalde der Johanneshütte am oberen Berghang des Fischbacherberges (vergleichbar zum „Monte Schlacko“ in Geisweid), der in der Bevölkerung als „Sandhöppel“ bekannt gewesen ist. Auf vielen Panoramaaufnahmen ist die markante Halde an der Spitze des Fischbacherbergs bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erkennbar.
Eine systematische Besiedlung des Fischbacherbergs erfolgte erst im NS-Regime. Im Zuge der Militarisierung Deutschlands geriet der Berg in den Fokus der Heeresverwaltung. Die Garnisonsstadt Siegen benötigte Platz für die Wehrmacht, so dass militärische Gebäudekomplexe, ein Schießstand und entsprechende Zufahrtsstraßen errichtet wurden. Die Eröffnung der Kasernenanlage erfolgte im Oktober 1937. Zwei Jahre später wurde das gegenwärtig als Emmy-Noether-Campus von der Universität Siegen genutzte Heereskrankenhaus in Betrieb genommen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dienten die militärischen Gebäude in der durch akute Wohnungsnot geprägten Stadt Siegen als Notunterkünfte für die Zivilbevölkerung.
Bereits 1951 ging jedoch bei der britischen Militärregierung ein Antrag der belgischen Garnison ein, das Wohngebiet auf dem Fischbacherberg wieder militärischen Zwecken zu überführen. Das Vorhaben scheiterte jedoch durch Intervention der Stadtverwaltung.
In den folgenden Jahren intensivierte das belgische Militär die Bemühungen, seine Streitkräfte von Gummersbach nach Siegen zu verlegen und den Fischbacherberg zumindest als Wohnraum für die Soldaten und ihren Familien zu nutzen.
1967 wurden 34 Einfamilienreihenhäuser, ein kleingeschossiger Wohnblock mit sechs Wohneinheiten, drei viergeschossige Zeilenbauten mit 16 Wohneinheiten und die später als „NATO-Zähne“ bekannt gewordenen Hochhäuser mit 180 Wohneinheiten errichtet und von belgischen Militärangehörigen bezogen. Die ehemaligen Kasernengebäude behielten weiterhin ihren Status als Wohnblocks. Nach langwierigen kommunalpolitischen Diskussionen und Sanierungskonzepten zur Verbesserung der städtischen Infrastruktur wurde im Dezember 1976 mit dem Abriss der ehemaligen Kasernengebäude begonnen.
Autor: Herman Schmid
Hermann Schmid, geboren 08.03.1958 in Eislingen/Fils (Baden-Württemberg), kam 1983 zum Studium der Sozialen Arbeit nach Siegen. 1990 begann er für die Stadt Siegen in der Fachstelle für Wohnungsnotfälle zu arbeiten. Intensiv und von Beginn an wirkte Hermann Schmid an der sozialräumlichen Planung für das Quartier Fischbacherberg mit. 1997 übernahm er die Funktion des Stadtteilmanagers. Dessen Tätigkeit besteht nicht nur darin, für die Belegung des Wohnungsbestandes zu sorgen. Vielmehr ist Hermann Schmid Netzwerker, „Seelsorger“, einer, der permanent für den Ausgleich zwischen den Menschen in einem Wohnviertel arbeitet, das besonderen Belastung ausgesetzt ist.
Ein wirklich sehr interessanter Bericht über die Nutzung des Fischbacher Berges nach dem Abzug der belgischen Streitkräfte. Ich nahm im Anschluss nach meiner Ausbildung im Jahre 1985 meine Beschäftigung bei einem größeren Entsorger auf. Dieser schloß weit vor meinem Dienstbeginn Entsorgungsaufträge mit den belgischen Streitkräften ab. Neben Siegen durfte ich der damaligen Zeit meine Tätigkeiten für die belgischen Streitkräfte auch in Lüdenscheid. Alternate. Spich. Troisdorf und in Schleiden am Camp Vogelsang verrichten. Ich hoffe ich habe jetzt keinen Standort vergessen. Im Jahre 1986 leistete ich dann meinen Grundwehrdienst in Rennerod ab und kehrte dann wieder zur Führerscheinausbildung für den LKW nach Siegen zurück. Hier legte ich dann auch erfolgreich meine Fahrprüfung ab. Mittags wurde an der Bundeswehrschule gespeist. Im Anschluss fing ich dann wieder bei meinem damaligen Arbeitgeber an und entsorgte wieder die belgischen Streitkräfte und wenige andere Kunden in Siegen. Mit tiefer Bestürzung musste ich dann irgendwann erfahren dass die belgischen Streitkräfte sich aus Deutschland zurückziehen wollten. Irgendwann kam dann der Tag dass wir tiefbetrübt unsere letzte Tour in Siegen antraten. Danach folgten dann auch mit und mit die anderen Garnisionen. Einige Jahre später suchte ich dann noch einmal aus Neugier den Fischbacher Berg auf und war erschüttert. Dort wo damals reges Leben auf mich wartete herrschte jetzt absolute Stille. Wo vorhet absolute Ordnung herrschte traf ich jetzt auf sehr unordentliche Begebenheiten und teilweise eingeschlagene Fensterscheiben. Tief betrübt verließ ich die Gegend das war dann nicht mehr meine Welt. Die vier Hochhäuser standen jedoch zu dieser Zeit noch. Lange Zeit hatte ich dann zu Siegen keinen Kontakt mehr weil ich in eine andere Niederlassung wechselte. Dann würde diese jedoch geschlossen und ich wechselte wieder zurück. Vor wenigen Jahren erhielt ich dann wieder eine Auftrag in Siegen und erkannte meine damalige Stadt nicht wieder. Sämtliche Kasernen waren verschwunden. Die Stadtautobahn über ganz Siegen erweitert. Wo früher die belgischen Streitkräfte waren ragte jetzt das Logo eines schwedischen Möbelherstellers in die Höhe. Für mich brach zunächst eine Welt zusammen. Doch schon auf dem Weg zurück in die Niederlassung merkte ich wie sehr ich doch im Vorfeld die Stadt Siegen und meine belgischen Streitkräfte vermisst habe. In letzter Zeit habe ich Siegen dann wieder häufiger besuchen dürfen.
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