Ein Beitrag von Christina Spill – veröffentlicht am 28. März 2020
Wer gleich hinter dem „Camelot“, dem English Pub in der Siegener Oberstadt, auf die Siegbergstraße einbiegt, der steht nach wenigen Metern vor einem imposanten Gebäude: Der Turm eines ehemaligen Hochbunkers ragt dort acht Stockwerke hoch in den Himmel. Dahinter erstreckt sich auf fünf Etagen der Flachteil des einstigen Bollwerks. In den Jahren 1941 und 1942 erbaut, sollte das markante Gebäude direkt an den damaligen Siegberggärten den Bewohnern der Krönchenstadt Schutz bei Luftangriffen bieten. Heute können dort die Eigentümer und Mieter von neun großzügig geschnittenen Wohnungen den Blick über das komplette Siegtal genießen – und auch das modulbüro, unsere Bürogemeinschaft, hat hier ein neues Zuhause gefunden. Verteilt auf drei Etagen gehen wir hier unserer Arbeit nach. Wir, das sind die Architekten Alex Görg und Thorsten Wagener mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das Team der Kommunikationsagentur von Maik Pluschke, 3D-Animations-Experte Oliver Weingarten, Vermögensmanager Christian Rump, die Lichtdesigner Benjamin Rubertus und Yike Pan, das Team der Küchenmanufaktur von Sascha Vetter und Walter Müller – sowie ich, Christina Spill, Texterin und freie Journalistin.
Der Bunker im Krieg
Ein so massives Stück Stadtgeschichte mit neuem Leben zu füllen, war eine Herausforderung: Monatelang haben sich diamantbesetzte Drahtseile durch 1,10 Meter dicken Beton gearbeitet, um Quader für Quader mehr Licht ins Innere des Bunkers fallen zu lassen. Die Wände des Turms allerdings sind etwas weniger monumental: Er wurde nämlich, genau wie der runde Erker an der Talseite, nur zur Tarnung angelegt. Die alliierten Bomber sollten die Schutzbauten von der Luft aus für historische Gebäude halten und sie bei der Bombardierung verschonen. Alte Baupläne zeigen den Bunker noch mit Spitzdach, einem Wehrgang und mittelalterlich anmutenden Turmspitzen. Zwischen 800 und 1000 Personen sollen in den letzten Kriegsjahren bei Fliegeralarm darin Platz gefunden haben. Der hölzerne Wehrgang ging bei dem Bombenangriff im Dezember 1944 in Flammen auf.
Wohnraum, Schutzraum – Baustelle
Nach dem Krieg dienten Teile des Gebäudes noch längere Zeit als Wohnraum. Mitte der 60er-Jahre ging der Bunker dann in Landesbesitz über und wurde in Zeiten des Kalten Krieges zu Zivilschutzzwecken vorgehalten. Ein Erlass des Bundesinnenministeriums sorgte dann für die „Einmottung“ bzw. den Verkauf dieser speziellen „Unterkünfte“. Als die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Bunker Anfang 2011 zum Verkauf anbot, zögerten Thorsten Wagener und Maik Pluschke vom modulbüro nicht lange – und gaben im Namen einer eigens gegründeten GbR ein Gebot ab. Im Sommer 2014 fiel der Startschuss auf der außergewöhnlichen Baustelle. Insgesamt 2000 Tonnen Stahlbeton wurden nach und nach aus dem Bunker gewuchtet, 300 Lkw-Fuhren waren dazu nötig. Im Dezember 2015 konnte die erste der insgesamt neun Wohnungen bezogen werden, die Fertigstellung aller weiteren Wohneinheiten erfolgte nach und nach. Aus ursprünglich 1200 Quadratmetern Grundfläche sind 1600 geworden: Auf den niedrigeren Bunkerteil haben die Architekten noch ein Zusatzgeschoss gesetzt. Und auch unser modulbüro hat ein neues Zuhause im Bunker gefunden.
Gemeinsam statt einsam
Unsere etwas andere Bürogemeinschaft gibt es nun schon seit mehr als 15 Jahren. Der Bunker an der Siegbergstraße ist die mittlerweile dritte (und hoffentlich letzte) Station für uns, und auch die „Besetzung“ hat sich im Laufe der Jahre immer wieder gewandelt. Von den Gründern des Büros sind nur Maik Pluschke und Thorsten Wagener geblieben. Doch die Hauptmotivation ist noch immer dieselbe: Der Austausch mit anderen, die Freude am Gestalten und an der Gemeinschaft. Da sind wir uns einig. Wer auch keine Lust mehr darauf hat, alleine im Homeoffice zu sitzen, kann das modulbüro als Coworking-Space nutzen – und dauerhaft, aber auch für eine begrenzte Zeit einen Schreibtisch mieten.
Bilder 1 mit freundlicher Genehmigung vom Stadtarchiv Siegen, Bilder 2 – 5 von Alex Görg, Bild 6 von Ulrich Terschlüsen/imago
Hintergrundinformationen zu den Bunkern im Siegener Stadtgebiet.
Quelle: www.wiki.zeitraum-siegen.de
Das Siegener Stadtbild wird bis heute durch zahlreiche Hochbunker aus der Zeit des 2. Weltkrieges geprägt. Maßgeblich verantwortlich für den Bau war der Siegener Oberbürgermeister Alfred Fißmer in seiner Funktion als örtlicher Luftschutzleiter. Siegen gehörte zu den Luftschutzorten I. Ordnung. Als Standort kriegswichtiger Rüstungsindustrie galt die Stadt als potentielles Ziel von Luftangriffen. Im Stadtgebiet wurden deshalb elf Hochbunker und ein Tiefbunker errichtet. Zahlreiche Bergwerksstollen wurden außerdem zu Luftschutzräumen umgebaut. Die aus Beton gebauten Schutzanlagen waren an das Wasser- und Stromnetz angeschlossen. Bot ein Bunker mehr als 300 Menschen Platz, dann musste ein eigener Brunnen vorhanden sein. Auch gegen Gasangriffe sollten die dicken Mauern schützen, es gab autarke Luft-Reinigungsanlagen, die die verbrauchte Luft im Bunker säuberten und mit gefilterter Luft von außen vermischten. Zwei Eingänge waren vorgeschrieben, falls einer verschüttet werden sollte. Beide Zugänge verfügten über Gas-Schleusen. Die Anzahl der vielen Hochbunker im Stadtbild erklärt sich aus dem harten Untergrund. Der Boden besteht aus Grauwacke, einem sehr harten Gestein. Schon vor Kriegsbeginn wurden Luftschutzübungen angeordnet. Dabei wurde die Zusammenarbeit von Luftschutzwart, Feuerwehr, Polizei und Bevölkerung geprobt.
Der erste Bombenabwurf auf Siegen erfolgte am 2. Oktober 1942. Bei dem schwersten Luftangriff am 16. Dezember 1944 wurden große Teile der Siegener Innenstadt zerstört. Nach dem Krieg blieben die Bunkeranlagen stehen. Ein Abriss wäre zu teuer, eine Sprengung im engen Stadtgebiet zu gefährlich. Deshalb benutzt man die Anlagen als Lager oder hat sie mit Wohnungen überbaut. Der Bunker am Obergraben, einst Schutzraum des Städtischen Krankenhauses, wurde zum Aktiven Museum Südwestfalen.
Autor: Christina Spill
Christina Spill (geb. 1983) ist in Kreuztal aufgewachsen. Nach dem Studium in Münster, einem Volontariat und Erfahrungen als Redakteurin bei einer Tageszeitung in Unna ging es für sie zurück ins Siegerland: Seit 2013 arbeitet sie selbstständig als freie Texterin und Journalistin im modulbüro. Für die netten Menschen, den regen Austausch und das tolle Miteinander würde sie sich jederzeit wieder entscheiden.
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