Im Trödelfieber

Ein persönlicher Bummel durch die Historie des Geisweider Flohmarkts

Eine Geschichte von Mario Görög – veröffentlicht am 20. März 2020 

Nachts in Geisweid: Mit einem leisen Klopfen am Autofenster der Fahrerseite wecke ich die beiden Insassen, die seit Mitternacht in der ersten Reihe der Warteschlange in der Stahlwerkstraße stehen. Ihr Ziel ist der Geisweider Flohmarkt unter der HTS. Ich schaue ins Wageninnere und sehe, dass der Wagen bis unter den Himmel vollgepackt ist mit Kartons, die wiederum vollgestopft sind mit Textilien, Spielsachen und Dekoartikeln. „Das muss alles weg heute, wir sparen für die Nordsee im Sommer“, sagt die junge Frau etwas verschlafen. Ich nicke und wünsche viel Erfolg, dann geht es weiter zum nächsten Auto.

Die Anzahl der wartenden Autos geht bereits in die Dutzende, dabei ist es erst kurz nach drei Uhr in der Nacht. Um halb vier beginne ich gemeinsam mit dem Team mit dem Einlass auf das Gelände und schnell füllt sich das Flohmarkt-Areal unter der Brücke. Zahlreiche Menschen bauen Tapeziertische auf, laden Kisten aus und schrauben Möbelteile zusammen. An verschiedenen Stellen riecht es bereits nach Kaffee und frischen Waffeln, denn auch die Versorgungsstände sind früh mit von der Partie. Vereinzelt stehen Gruppen von Profi-Trödlern zusammen, die bereits eine erste  Runde mit Stirnlampe hinter sich haben und ein Heißgetränk genießen.

„Die besten Schnäppchen finde ich im Kofferraum, wenn die Leute noch am Ausladen sind“, sagt Sven, der den Markt wie seine Westentasche kennt. Für den leidenschaftlichen Sammler von Spielzeugautos ist das frühe Aufstehen Pflicht. Die allgemeine Laune ist gut und man hat das Gefühl, dass hier jeder jeden kennt, die Atmosphäre ist freundlich und gut gestimmt, trotz der frühen Uhrzeit.

Ausgezeichnet: 50 Jahre Flohmarkt-Leidenschaft

Dass es diesen Flohmarkt seit über 50 Jahren gibt, ist schon ein Phänomen. Angefangen habe ich selbst als Ordner in den 90er Jahren, als der Flohmarkt noch im Innenstadtbereich von Geisweid stattfand. Vom Lindenplatz vorbei am Rathaus und durch die gesamte Rathausstraße zog sich der Trödelmarkt mit tausenden von Besuchern. Doch der frühmorgendliche Lärm und die begrenzte Fläche, denn der Ansturm wuchs von Jahr zu Jahr, machten eine Fortführung im Zentrum Geisweids unmöglich. Lösungen mussten her und so fiel die Entscheidung auf die Fläche unter der Hüttentalstraße. Von da an konnte relativ wetterunabhängig getrödelt werden, denn die gesamte Fläche ist überdacht. Dass zudem   der Verkauf von Neuware untersagt ist, macht den Geisweider Flohmarkt einzigartig und brachte ihm 1995 die Auszeichnung „Schönster Flohmarkt Deutschlands“ durch das branchenführende Fachmagazin Nostalgie Revue ein.

Kein Ort für Langschläfer

Ich erinnere mich noch sehr genau an meine erste Zeit auf dem Flohmarkt. Mein Onkel, Dieter Endres, der den Flohmarkt beinahe vier Jahrzehnte organisierte, bot mir eine Ordnertätigkeit an, um mir während der Schulzeit ein paar Mark zu verdienen. Doch auch in den 90ern begann der Markt sehr früh und oftmals hätte ich lieber weitergeschlafen, als um zwei Uhr aufzustehen. Aber wenn man erstmal auf dem Gelände war, verflog die Zeit wie im Nu. Die vielen Menschen, die als Händler und Besucher aus nah und fern auf den Markt strömten, feilschten und handelten mit Nützlichem und Überflüssigem. So konnte auch ich nach getaner Arbeit das ein oder andere Schnäppchen machen und meine Langspielplattensammlung vergrößern. Heute bleibt mir kaum Zeit für Nostalgie und einkaufen gehen, der Tag ist eng getaktet. Um zwei Uhr beginnt mein Tag auf dem Markt und zwischen 15 und 16 Uhr drehe ich die letzte Kontrollrunde, wenn alle Händler und Besucher längst wieder gefahren sind.

Moin, Gulaschkanone!

Nicht wegzudenken vom Flohmarkt ist die Erbsensuppe aus der Gulaschkanone des Deutschen Roten Kreuzes. Thomas und sein Team verkaufen mit wenigen Ausnahmen auf jedem Flohmarkt die beliebte selbstgekochte Suppe. Es soll Besucher geben, die ausschließlich wegen des Eintopfs kommen. Ich rufe Thomas ein „Moin!“ zu, doch der ist gerade voll in seinem Element beim Positionieren der Verkaufstheke und hat keine Zeit. Jeder Handgriff muss beim Aufbau sitzen, denn in Kürze beginnt der Verkauf. Am späten Vormittag wartet an der Theke des DRK eine lange Schlange hungriger Mäuler, teils sogar mit Töpfen und Tupperdosen ausgestattet, um sich den leckeren Eintopf auch für den nächsten Tag zu sichern.

Ich bin gespannt, ob ich nach den vielen Jahren, die ich mit dem Flohmarkt verbunden bin, irgendwann das Zepter an meine Kinder weiter reichen werde. Der Älteste wird bald 15 und könnte in überschaubarer Zeit ebenfalls als Ordner beginnen.

Bevor mein Flohmarkttag endet, treffe ich das junge Pärchen aus der Nacht wieder. Sie winken fröhlich beim Verladen des Autos. „Wir haben einen guten dreistelligen Betrag eingenommen. Wir kommen gerne wieder.“ So soll es sein, denke ich mir. Dafür machen wir das.

20. März 2020

Impressionen

1969 von der Geisweider Werbegemeinschaft e.V. in Leben gerufen, fand der Geisweider Flohmarkt in den Anfangsjahren zweimal im Jahr statt. Mit dabei war stets ein großes Rahmenprogramm mit Gesangswettbewerben, das Zuschauer wie Musik-Stars auf den Marktplatz und die Fußgängerzone des Siegener Stadtteil zog. Seit 1995 wird der Flohmarkt unter der HTS ausgerichtet.

Bilder 1 und 2 mit freundlicher Genehmigung von Horst Günter Simon; Bild 3 von Mario Görög; Bilder 4 und 5 von Martin Lässig

Flinker Trödel: Ein Flohmarkttag im Zeitraffer

Mit freundlicher Genehmigung der Lokalzeit Südwestfalen/WDR

Infos

Ursprung des Geisweider Flohmarkts ist ein Flohmarktbummel der Siegener Norwin Zöller, Paul Roth, Wolfgang Lingemann, Kurt Mackenbach und Günter Kuntz im Hamburg der 1960er Jahre. Inspiriert von ihrem Besuch in der Hansestadt brachten die Einzelhändler der Werbegemeinschaft Geisweid e.V. die Idee nach Siegen und veranstalten 1969 den ersten Flohmarkt der Region: Getrödelt wurde damals noch 2 x im Jahr auf dem  Geisweider Marktplatz, später in der Fußgängerzone, doch in den Anfangsjahren immer mit einem großen Rahmenprogramm, das Stars dieser Zeit wie Frank Farian oder Marianne Rosenberg auf die Bühne brachte. Im April 1995 zog der Flohmarkt unter die HTS. Einen Monat später wurde er von der Nostalgie Revue zum schönsten Flohmarkt Deutschlands gewählt! Mittlerweile zählt der Geisweider Flohmarkt zu den größten Veranstaltungen seiner Art in ganz Südwestfalen. Von März bis Dezember findet er jeweils am ersten Samstag im Monat statt. Informationen auf der Website

Lageplan

Schlagworte

Mario Görög lächelt. Seit 2018 ist er Organisationsleiter des Geisweider Flohmarkts

Autor: Mario Görög

Mario Görög leitet und organisiert den Geisweider Flohmarkt seit 2018. Seit 1995 ist der selbstständige Fachkaufmann für Marketing in der Werbe- und Veranstaltungsbranche unterwegs. Viele Jahre hat er als 1. Vorsitzender und Geschäftsführer die Geschicke der Aktionsgemeinschaft Betzdorf e.V. geführt. Zudem ist er seit über zehn Jahren Mitglied der Werbegemeinschaft Geisweid e.V., seit 2019 bekleidet er das Amt des 2. Vorsitzenden. Seine Kindheit verbrachte er in Weidenau, mittlerweile wohnt Mario Görög in Köln.

 

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