Pack' die Badehose ein

Zu Fuß vom Lyz ins Stadtbad

Professor Hans-Peter Fries erinnert sich an seine Schulzeit in den 1950ern, veröffentlicht am 10. Juli 2020

Nach bestandener Aufnahmeprüfung wechselte ich Ostern 1951 von der „Rosterschule“ (Diesterwegschule) in die Sexta des Städtischen Gymnasiums für Jungen, das nach dem Zweiten Weltkrieg Unterschlupf im Mädchengymnasium (Lyzeum) in der St.-Johann-Straße gefunden hatte, wo der Unterricht im wöchentlichen Schichtwechsel (morgens – nachmittags) mit den Mädchen stattfand. Am 29.01.1951 sang ich im Schulchor unter Leitung unseres Musiklehrers Studienrat Wettich bei der Grundsteinlegung für den Neubau des Jungengymnasiums in der Oranienstraße mit.

Schulsport im Lyz

Mein erstes Versetzungszeugnis von Sexta nach Quinta (Datum 25.03.1952) weist als letztes Fach „Sport“ aus und zwar mit der (unberechtigten) Note „ausreichend“, obwohl ich mir im November 1951 in der Turnhalle des Lyz beim Geräteturnen einen komplizierten doppelten Beinbruch zugezogen hatte und bis Ostern gar nicht am Schulsport teilgenommen hatte.

In der Chronik „450 Jahre Gymnasium am Löhrtor Siegen 1536 – 1986“ (S. 43) schreibt Walter Thiemann zu dem 1954 vollzogenen Wechsel in den Neubau in der Oranienstraße: „Inzwischen waren auch nach und nach wieder alle die Fächer auf dem Stundenplan erschie­nen, die man zunächst nach dem Kriege hatte unberücksichtigt lassen müssen: Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Turnen.

Das ist zunächst chronologisch nicht ganz korrekt, weil das Fach Sport (Turnen), wie gezeigt, schon mindestens sieben Jahre vor dem Umzug in die Oranienstraße auf dem Lehrplan stand.

Schwimmunterricht als neues Fach

Zudem bleibt in der Fächerauflistung leider eine für die damalige Zeit ganz erstaunliche und bemerkenswerte Tatsache unerwähnt. Der Blick in meine alten Schulzeugnisse half meiner eigenen Erinnerung auf. Mein Versetzungszeugnis von Quinta nach Quarta vom 26.03.1953 weist unter den (vorgedruckten) Fächern zusätzlich zu „16. Sport“ als handschrift­liche Ergänzung das Fach „Schwimmen“ aus mit der etwas gnädigen Note „ausreichend“, die auch „mangelhaft“ hätte lauten können, da ich zu dieser Zeit noch Nichtschwimmer war.
Vielleicht geschah die Benotung nach dem Motto: Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas. Jedenfalls ist damit bewiesen, dass bereits im Schuljahr 1952/53 Schwimmen auf dem Stundenplan stand (ob der Schwimmunterricht wöchentlich oder alle zwei Wochen im Wechsel mit dem Turnen stattfand, weiß ich nicht mehr.)

Das Hallenbad auf der Sieghütte

Und wo fand das „Schwimmen“ statt?
Natürlich im damals einzigen Siegener Hallenbad (kurz Stadtbad genannt) im Dilnhenrichweg, das nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau am 17. Juni 1947 wiedereröffnet worden war. Selbstverständlich mussten wir den weiten Weg vom Lyz und ab 1954 von der Oranienstraße jedes Mal mit Rucksack oder Badetasche zu Fuß hin und zurück laufen. Schwimmunterricht war für uns eine Sensation (die übrigens nicht allen Spaß machte) und verglichen mit den Schulen in NRW (und darüber hinaus?) vermutlich ein Alleinstellungsmerkmal.

Nach meinen Erinnerungen war das Schwimmbecken recht klein. Im Bericht der Siegener Zeitung vom 17.08.2019 von Herrn Brachthäuser wird die Länge des Schwimmbeckens mit 40 Fuß und die Breite mit 30 Fuß angegeben. Unterstellt man wegen des Baus in der Kaiserzeit (1882) ein Preußisches Fuß gleich 0,314 m, dann ergibt sich ein Rechteck von ca. 15 x 9,5 m. Dieses Becken war geteilt in einen etwas längeren Schwimmerbereich (ca. 2/3) und einen kürzeren Nichtschwimmerbereich (ca. 1/3) – abgetrennt durch eine ummantelte Kette.
An den Längsseiten des Schwimmbeckens befanden sich Umkleidekabinen mit Türen nach außen und gestreiften Vorhängen zum Schwimmbad hin und zwar auf zwei Etagen. An der Gebäudewand (Schmalseite; Nordseite) vor dem Nichtschwimmerbereich befanden sich sechs oder acht offene Wandduschen (es gab keine Duschkabinen) und darüber im Obergeschoss auf einer offenen Galerie Bänke und Spinde zum Umkleiden.
An der Seite führte eine breite Treppe hinab zu den Duschen und dem Schwimmbecken. Der Zugang zum Schwimmbecken führte (anders als vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg an beiden Seiten) mittig über eine Treppe, vor der sich eine Kaltdusche befand, in den Nichtschwimmerbereich. Gegenüber an der Südseite des Gebäudes befanden sich vor dem Schwimmerbereich der Eingang ins Gebäude und die Kasse. Das Schwimmer­becken verfügte an dieser Seite über ein Ein-Meter-Sprungbrett und ein Drei-Meter-Sprungbrett.

Selbstverständlich war uns Schülern die Benutzung der Umkleidekabinen untersagt.

„Ich kann aber nicht schwimmen!“

Die Betreuung der Nichtschwimmer war Aufgabe von Studienrat Siegfried Krause (genannt Sibi), die Schwimmer unterstanden der etwas strengeren Aufsicht von Studienrat Dr. Hans Brinkmann (genannt Jonny). Wie viele Jahre das Schulschwimmen im Städtischen Hallenbad stattfand, ist mir nicht bekannt, wohl aber, dass wir irgendwann in der Oberstufe noch ins Belgierbad in der Numbach umgezogen sind.

Wie nützlich der Schwimmunterricht war, belegt die Vielzahl der Schüler, die dort  – wie ich –  das Schwimmen erlernt haben. Irgendwann muss es Jonny missfallen haben, dass trotz länge­rer Anleitung durch seinen Kollegen Sibi immer noch etliche Schüler im Nicht­schwimmer­bereich „herumplanschten“. Er beorderte mich und einige andere zu sich und befahl mir, vom Ein-Meter-Brett zu springen.
Ich wendete verängstigt ein: „Ich kann aber nicht schwimmen!“
Seine kurze Antwort: „Wenn du wieder auftauchst, kannst du den Metallreifen ergreifen, den ich dir an der lange Bambusstange hinhalte.
Ich sprang; prustend und zappelnd tauchte ich wieder auf. Aber jedes Mal, wenn ich den Ring ergreifen wollte, zog Jonny schlitzohrig die Stange ein wenig weiter, bis ich schließlich im Nichtschwimmerbecken ankam – und feststellte: Ich kann schwimmen.

„Hände weg vom Beckenrand!“

Mit der Zeit lernte ich, immer ausdauernder zu schwimmen, sodass ich am 10.10.1956 den „Freischwimmer“ (Bedingung: Unter Aufsicht 15 Minuten ununterbrochen schwimmen und ein beliebiger Sprung vom Ein-Meter-Brett) machen konnte.
Nicht einmal ein halbes Jahr später wagte ich am 27.03.1957 unter strenger Aufsicht von Jonny den „Fahrtenschwimmer“ (Bedingung: Unter Aufsicht 30 Minuten ununterbrochen schwimmen und ein beliebiger Sprung vom Drei-Meter-Brett).
Selbstredend riskierte ich nur einen einfachen Fußsprung vom Dreier. Aber 30 Minuten zusammen mit weiteren fünf oder sechs Probanden in einem fast quadratischen Mini-Schwimmerbecken von nicht einmal 10 x 10 Meter ständig im Kreis zu schwimmen, so dass ich irgendwann einen Drehwurm bekam, das war eigentlich ein unmögliches Unterfangen, zumindest aber eine Tortur, die nicht aus dem Zeugnis hervorgeht. Jedes Mal, wenn ich im „Kreisel“ versehentlich mit der Hand den Beckenrand berührte oder am Rand des Nichtschwimmerbereichs mit dem Fuß auf den Boden kam, schrie Jonny von oben: „Nicht mogeln! Hände weg vom Beckenrand!“ Oder: „Füße hoch!“
Schlimm war auch, dass das Schwimmtempo vom Schwächsten der Gruppe bestimmt wurde, sodass ich immer wieder auf den Vordermann „auflief“ oder der Hintermann mir mit den Händen zwischen die Beine schwamm. Aber irgendwann hatte auch ich die halbe Stunde (nach meiner Erinnerung waren es 45 Minuten), die mir wie eine Ewigkeit vorkam, geschafft. Im „Frei- und Fahrten­schwimmerzeugnis“ (s. Anlage) vom 29.03.1957 wurden mir beide Leistungen bescheinigt.

Aus den beigefügten Anlagen geht hervor, dass wir Schüler des Städtischen Gymnasiums für Jungen in Siegen (mindestens) von 1952 bis 1957 im Stadtbad auf der Sieghütte Schwimm­unterricht gehabt haben. Insofern ist es merkwürdig, dass das „Schwimmen“ nach 1953 in keinem meiner weiteren Zeugnisse mehr als Fach aufgeführt wird (Nachweis möglich).

Stolz und richtig „groß“ fühlte ich mich, wenn ich zum Beispiel mit meinem Vater ins Stadtbad ging und mit ihm unten in eine Umkleidekabine durfte, von der ich dann durch den Vorhang direkt in den Badebereich gehen konnte.

10. Juli 2020

Impressionen

Herr Professor Hans-Peter Fries erzählte uns nicht nur von seinem Schwimmunterricht, sondern stellte uns auch Fotos seines Frei- und Fahrtenschwimmer-Zeugnisses zur Verfügung.

Lageplan

Schlagworte

Autor: Hans-Peter Fries

Hans-Peter Fries wurde 1940 geboren, machte sein Abitur 1960 am Städtischen Gymnasium für Jungen in Siegen und studierte danach BWL in Marburg und Köln. Als Diplom-Kaufmann war er in Marktforschung und Industrie tätig, wirkte sieben Jahre lang nebenberuflich als Lehrkraft an Kaufmännischen Berufsschulen in Köln und Siegen und arbeitete bis zur Pensionierung als Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Siegen.
In seiner Freizeit blickt er auf eine über 50-jährige solistische Konzerttätigkeit (Bass-Bariton) im Bereich der Kirchenmusik und in 30 Liederabenden (erfolgreich beim 9. Deutschen Musikwettbewerb für Amateure 2008 in Frankfurt im Fach „Klassischer Gesang“). Ebenso ist er seit 55 Jahren Mitglied der Kantorei Siegen und seit 1954 aktives Mitglied des Tennisclub Siegen.

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