Siegener Unterwelten

Eine persönliche Expedition in die Tiefen unserer Stadt

Ein Beitrag von Markus Jung – veröffentlicht am 30. Januar 2020

Wenn ich im Rahmen meiner „Unterwelten-Arbeit“ mit Siegenern ins Gespräch komme, höre ich oft von unterirdischen Verbindungsgängen. Zum Aufbau dieser Gänge gibt es immer wieder unterschiedliche Angaben. Mal ist die Rede von einer unterirdischen Verbindung zwischen dem Unteren und Oberen Schloss, dann heißt es, dass aus der alten Krypta der Nikolaikirche ein Gang unter der Straße wegführte. Auch wird erzählt, dass man früher unterirdisch vom Fuße des Kölner Tors hinauf zum Oberen Schloss gehen konnte. Nicht zu vergessen die Legende von einem Verbindungsgang vom Unteren Schloss zum fürstlichen Anwesen im Charlottental.

Die Legenden der Keller

Ich habe da – neben entsprechenden Fakten, auf die ich nachher noch eingehen werde – folgende Theorie: Die bereits aus dem ausgehenden Mittelalter stammenden Gewölbekeller waren für viele Anwohner der Altstadt ein Schutzraum, der im Krieg schnell aufgesucht werden konnte. Die Gewölbe sind erstaunlich stabil und liegen oft sehr tief im Fels. Dazu kommt noch die Tatsache, dass in vielen alten Kellern damals noch die alten Hausbrunnen existierten. Frischwasser war somit gesichert und auch die Lebensmittelvorräte waren nicht weit. Das einzige Problem war, dass die Kelleranlagen jeweils nur einen Zugang hatten. Wenn nun in der Nähe des Kellerzugangs eine Bombe detonieren würde, wäre der Kellerzugang verschüttet und die Schutzsuchenden im Keller eingeschlossen. Damit das nicht passiert, haben alle Bunkeranlagen mindestens zwei weit voneinander entfernt liegende Ein- und Ausgänge. Das gilt im Übrigen für alle öffentlichen Schutzbauten, egal ob Stollenausbau, Hochbunker oder Tiefbunker.

Um dies auch bei privaten Kellern zu gewährleisten, hat man Querverbindungen zum Nachbarkeller geschaffen. Solche Verbindungen sind auch heute noch sichtbar, wenn auch zugemauert.

Überträgt man diese Maßnahme auf mehrere nebeneinanderliegende Kellergewölbe, kann man tatsächlich unterirdisch eine gewisse Strecke zurücklegen. Gerade in der Nachkriegszeit, als der Zugang zu vielen Kellern noch frei war, muss es wohl ein Spaß für die Kinder gewesen sein, darin zu spielen und vorhandene Verbindungen zu erforschen.

Also keine Stollen oder Tunnel?

Doch. Hier kommen Fakten:

Ein schmaler und niedriger Gang aus alter Zeit. Kein klassischer Stollen, wie man sie öfters im Siegerland antrifft. Nein, dieser Gang wurde aus alten Bruchsteinen und Felsgestein gemauert und wahrscheinlich später mit Ziegelsteinen ausgebessert. Der Gang beginnt an der Kölner Straße in einem Wohnhaus, verläuft unter dem Kurländer Flügel des Unteren Schlosses Richtung Südosten und endet unter dem Schlossplatz. Das Ende ist verschüttet. Mit einer Länge von circa 23 Metern verläuft er sogar unter der ehemaligen Zugbrücke!

Den eigentlichen Zweck des Ganges kann man nur vermuten. Er hat zwar eine leichte Steigung, aber für einen Abwasserkanal ist er mit einer Höhe von 1,5 Meter und einer Breite von 0,75 Meter zu groß. Vielleicht war es ein Fluchtweg. Ein-beziehungsweise  Ausgang liegen an der damaligen alten Stadtmauer. An einer Stelle sieht man oben an der Decke eine dicke Schieferplatte. Vielleicht ein Loch nach oben ins Gebäude? Gab es hier mal eine Öffnung? Wozu diente der Gang?
Viele Fragen und viele wird man nicht beantworten können. Aber darum geht es auch nicht immer! Es ist oft viel schöner, wenn diese unterirdischen Anlagen noch einen Hauch Mystik behalten und wir unsere Phantasie nutzen und diese Hohlräume mit Leben füllen.

Und nun? War es das?

Es gibt noch viel zu erforschen und zu entdecken.

In einem Keller am Neumarkt findet man ebenfalls einen alten Gang. Dieser ist mit Bauschutt zugeschüttet und könnte wieder freigegraben werden. In der Kölner Straße liegt ein Keller, der eine große Eisenplatte aufweist, die einen verschütteten Gang abdeckt. In einem Kellergewölbe des Oberen Schlosses sieht man zwei zugeschüttete Gänge.

Also gibt es sie doch – unterirdische Gänge, die nicht auf den Bergbau zurückzuführen sind. Wie groß das Netz einmal war, wo es herlief und welchen Zweck es hatte, kann man jedoch nur noch vermuten.

Die Siegener Unterwelten arbeiten weiter daran, Licht ins Dunkel zu bringen.

30. Januar 2020

Impressionen

Für sein Forschungsprojekt „Siegener Unterwelten“ erspürt Markus Jung die Mystik von Schächten, Tunneln und unterirdischen Gängen unserer Stadt.  Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Markus Jung.

Infos

Die Arbeit der Siegener Unterwelten befasst sich mit der Aufnahme und Dokumentation der unterirdischen Gegebenheiten im Siegberg. Dazu zählt die gut dokumentierte und bekannte Alte Silberkaute, aber auch Unbekanntes wie etwa Gewölbekeller aus dem 16. Jahrhundert, Systeme zur Wasserversorgung wie der Nikolausbrunnen oder Verbindungsgänge aus alter Zeit.
Wir haben eine Verantwortung gegenüber der Geschichte der Generationen, die vor uns Siegen so erschaffen haben, wie es heute ist. Es ist unser Siegen, und unter der Grasnarbe ist Vieles noch so wie vor 200 oder 300 Jahren. Das haben bisherige Begehungen gezeigt. Es wäre erstrebenswert, die Fundamente, die wie Wurzeln unseres Hier und Jetzt im Dunkeln schlummern, bekannter zu machen – eben Licht ins Dunkel zu bringen. Weitere Eindrücke finden sich auf der Internetpräsenz der Siegener Unterwelten: Klick

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Schlagworte

Markus Jung von Siegener Unterwelten in altem Gang.

Autor: Markus Jung

Markus Jung wurde 1986 in Siegen geboren, ist  verheiratet und lebt im Stadtteil Geisweid.

Neben seinem Hauptberuf als Elektroniker für Infrastruktursysteme unternimmt er aktiv Reisen in die Vergangenheit. Als Hobbyhistoriker und Vorstandsmitglied im Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein. Ebenso ist er Mitglied im Leitungsteam der Ev. Jugendallianz Siegen.

Schon als Jugendlicher hat er gerne gelauscht, wenn es um frühere Zeiten ging, interessierte sich dafür, wie Straßenbilder einst aussahen und wo welches Haus ehemals stand.  Mit seiner Forschungsarbeit „Siegener Unterwelten“ verhält es sich ganz ähnlich. Die Orte und Räume, die er vorfindet, sind oft so wie vor 80, 100 oder 300 Jahren. Die Zeit ist dort stehengeblieben. Nichts Modernes, manchmal weder Licht noch Strom, aber dafür viel Geschichte zum Anfassen.

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