Die Gartenstadt Wenscht

Eine ganz besondere Siedlung

Nachkriegszeit in Klafeld: Das Stahlwerk boomt. Wohnraum muss her. Arbeitsdirektor Dr. Erich Dudziak (1906-1995) ergreift die Initiative. Er kommt mit den Haubergsgenossen ins Geschäft. Die ersten Stahlwerker errichten ihre künftigen Häuser und Gärten, das Hintere Wenscht entsteht.
Die Klafelder ahnten damals nicht, was damit angestoßen war. Tausende Stahlwerker siedelten sich in den Folgejahren im Wenscht an. Wälder und Felder wichen Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern, Doppel- und Reihenhäusern, Wohnblocks und Laubenganghäusern: Vom Hinteren übers Obere und Mittlere Wenscht bis hinunter ins Hofbachtal dehnte sich die Gartenstadt aus. Außer Wohnraum entstand eine komplexe Infrastruktur, um die Menschen zu versorgen. Die Breitentalsperre etwa wurde wegen der Wenscht gebaut. Binnen weniger Jahre verdreifachte sich Klafeld, das heute zu Geisweid gehört, auf 12000 Einwohner – darunter sehr viele Vertriebene und Gastarbeiter.
Zwei eingefleischte Wenschter erzählen. Paul Breuer, der vom Lehrer zum Siedler im Wenscht wurde, hat festgestellt: „Das Wenscht hat ein Gummiband – es holt die Leute zurück.“ An diesem Band hängt Helmut Obecny. Er wuchs im Wenscht auf und sagt: „Es waren alle relativ gleich.“ Nach 15 Jahren „auswärts“ kehrte er mit seiner Familie zurück, als er die an sein Elternhaus grenzende Haushälfte kaufen konnte. Sein Großvater hatte in den fünfziger Jahren vom Schumacher zum Stahlwerker umgesattelt, um sich den Traum vom Eigenheim zu verwirklichen. Diesen „Traum“ leben die Obecnys bis heute – mit vier Generationen in zwei Doppelhaushälften.

27. November 2020

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Zeitzeugen: Paul Breuer & Helmut Obecny

Bildergalerie

Fotos aus der Sammlung von Herbert Obecny und Verlag Vorländer

Zum Hintergrund

Das Wenscht in all seinen Facetten hinreichend abzubilden, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Hintergründe zur Gartenstadt, zur Rolle der Stahlwerke und von Arbeitsdirektor Dr. Erich Dudziak bei der Entstehung der Siedlung sowie einiges über die Kunst im Wenscht lassen sich auch in der von der Universitätsstadt Siegen herausgegebenen Broschüre „Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau in Siegen – Gartenstadt Wenscht“ nachvollziehen:
https://www.siegen.de/fileadmin/cms/pdf/KunstImOeffentlichenRaum/KunstImOeffentlichenRaumWenscht.pdf.
In der Einleitung heißt es:
„Eine Gartenstadt ist ursprünglich eine britische Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Mit ihrer Idee war ursprünglich das Ziel verbunden, die Lebensbedingungen der damals benachteiligten Arbeiter zu verbessern und sie mit großzügigerem Wohnraum in gesünderen Verhältnissen zu versorgen. Die Gartenstadt Wenscht im Siegener Stadtteil Geisweid verbindet Arbeit und Leben miteinander und stellt eine Balance zwischen beruflicher Tätigkeit und Erholung, sozialen und kulturellen Bedürfnissen her. Die Initiative zu Bau und Erschließung des Quartiers Wenscht war von den Stahlwerken Südwestfalen ausgegangen, die den allgemeinen, durch das Flüchtlingselend dramatisch gewordenen Wohnungsmangel der Nachkriegszeit bekämpfen wollten. 1950 starteten Planung, Grunderwerb von der Haubergsgenossenschaft und Finanzierung unter der Beteiligung der ersten 50 Siedler im Bereich „Hintere Wenscht“. Die Stahlindustrie war seinerzeit geprägt von einem Beschäftigungsboom. Der enormen Tatkraft des damaligen Arbeitsdirektors der im September 1951 neu gegründeten Stahlwerke Südwestfalen AG, Dr. Erich Dudziak (1906-1995), und nicht zuletzt dem Willen der mutigen Siedler, ihren Familien ein geborgenes Zuhause zu schaffen, ist es zu verdanken, dass die Siedlung Wenscht im heutigen Siegener Stadtteil Geisweid Realität wurde. Der symbolische erste Spatenstich mit Grundsteinlegung zum rund 75 Hektar umfassenden Quartier Wenscht in Geisweid erfolgte am 1. Mai 1952 durch Arbeitsdirektor Dr. Dudziak.

Das Vordere Wenscht
Den baulichen Charakter des Wenscht und die kontroverse Denkmalschutzdebatte um das Vordere Wenscht rund 50 Jahre später im Spannungsfeld zwischen Erhalt eines Kulturguts auf der einen und der Lebensrealität der Bewohner auf der anderen Seite beschreibt die KSG (Kreiswohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft mbH Siegen) auf ihren Internetseiten https://www.das-wenscht.de/.
Auf der Unterseite https://www.das-wenscht.de/das-vordere-wenscht/ heißt es:
„Die raumplanerisch und gartentechnisch realisierte Idee dürfte in Deutschland wirklich einzigartig sein. Sie gilt es zu erhalten und fit für die Zukunft zu machen. Darin sind sich auch die Menschen im Vorderen Wenscht einig. Erfreulich ist es deshalb, dass die Stadt Siegen diese städtebauliche Eigenart und die landschaftsarchitektonische Konzeption, zu der auch die vielen künstlerischen Elemente gehören, für die Zukunft erhalten will. Um das sicherzustellen, hat die Verwaltung ein Freiraumentwicklungskonzept erarbeitet, dass sich besonders dem Vorderen Wenscht widmet. Die dortigen Freianlagen sind denkmalwert und sind deshalb auch geschützt.“

Zum Vorderen Wenscht empfiehlt sich ein Blick auf https://www.das-wenscht.de/geschichte/:
„Für das Vordere Wenscht wurden – für das Siegerland in diesem Maß und in der Art erstmalig – Eigenheime und Mietwohnungen in längeren Baukörpern zusammengefasst. Die Westfälische Wohnstätten AG (Dortmund) und die beauftragten Architekten Helmut Erdle (1906-1991) aus Stuttgart und Karl Brunne (1907-1972) aus Unna-Hemmerde entwarfen für die Hangbebauung gestaffelt angeordnete Reihenhäuser und Laubenganghäuser mit Abwandlungen in den Grundrisstypen. Die von der Wenschtstraße und dem Albichweg begrenzte Talaue, mit dem Spielplatz am nördlichen Ende und dem Schwanenteich am unteren Ende, blieb von Bebauung frei und wurde als öffentlich nutzbare Parkanlage gestaltet. Sie liegt als „Anger“ zwischen den bebauten Hängen des Vorderen Wenscht.
Die Gesamtplanung der Vorderen Wenscht zeichnet sich durch eine von Beginn an mit bedachte und geplante Freiraumgestaltung aus, die die vorgefundene Landschaft und die Bedürfnisse der künftigen Bewohner nach naturhaften Elementen in das Bebauungskonzept einbezog. Freiflächen, Waldstreifen, parkähnliche Anlagen und Wasserflächen geben diesem Gebiet Großzügigkeit und Weite, die platzähnlichen Straßenerweiterungen lassen vergessen, dass dieses Gebiet dicht bebaut 

Lageplan

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